Lost Places & Unlost Places Ehemaliges Ostpreußen - Polen, Russland, Litauen

Schlösser, Burgen, Gutshäuser

Herrenhäuser im ehemaligen Ostpreußen - Einleitung

Ostpreußen – was ist es, dass etwas Vergangenes auch heute noch Anziehungskraft ausübt, ein Land und seine Geschichte, die um 1226 mühsam begann und vor fast siebzig Jahren mit einem kaum beschreibbaren Exodus ihr gewaltsames und unwiderrufliches Ende fand. Bis heute werden Reliquien aus jener Region zu Höchstpreisen gehandelt. Es ist vermutlich die Mischung aus Verschiedenem, die diese Faszination ausübt. Eine Melange an Themen, die seit jeher Menschen in ihren Bann zog.

 

Preußische Staatsgeschichte nahm in dem kleinen Fleck im Osten seinen Anfang und übt grundsätzlich auf Geschichtsinteressierte eine eigenartige Faszination aus. Der eigentliche Staat Preußen existierte eigenständig und offiziell gerade einmal von 1701 bis 1871 und dennoch werden mit dieser kurzen Episode die wesentlichen Ideale der Deutschen verbunden, die da wären, Bildung und Weltoffenheit, Ordnungssinn und Sparsamkeit, politische Stärke und hingebungsvolles Arbeiten des Einzelnen zu Gunsten eines Ganzen. Preußen an sich existierte schon lange im strengen Sinne nicht mehr als es sich in seiner Ordnung in Ostpreußen noch bis in das dritte Reich konservierte. Formal wurde aber erst 1947 sein Schicksal besiegelt. Der Mythos lebt jedoch weiter und mündete so in jüngster Vergangenheit in die skurrile aber ernst gemeinte Idee, aus Teilen der neuen Bundesländer ein neues Bundesland Preußen zu schmieden.

Ostpreussen mit Memelgebiet und angrenzendem Westpreußen und Freistaat Danzig um 1931
Ostpreussen mit Memelgebiet und angrenzendem Westpreußen und Freistaat Danzig um 1931

Da sind zwei Weltkriegen zu nennen, die in diesem Gebiet schicksalhafte Wendungen genommen oder besonders gewütet haben. Die Verklärung Hindenburgs als Retter von Ostpreußen im ersten Weltkrieg wurde durch die Nationalsozialisten geschickt aufgenommen und sollte einen fatalen Durchhaltemythos im zweiten Weltkrieg begründen. Ostpreußen, schon jeher als Grenzland und Vorposten stilisiert, war das erste Stück Deutschland, dass die Rote Armee 1944 trotz erbitterter Gegenwehr erreichte und erfuhr besonders grausame Rache. Auch diese Tatsache hallt bis heute in den Medien nach. Nachweislich erfreuen sich Printmedien bis heute allein durch die direkte oder indirekte Erwähnung des Themas im Titel erhöhter Auflagen.

 

Ein in sich durch Anfang und Ende geschlossenes Gebiet gilt Sammlern als besonders attraktiv. Die klaren geschichtlichen und geografischen Umrisse könnten auch im Falle Ostpreußens Ursache der anhaltenden Faszination sein. Doch so gänzlich abgeschlossen scheint das Kapitel dennoch nicht. Nicht, dass sich das Rad der Geschichte zurückdrehen möge, aber die Gemengelage zwischen Polen, Litauen und dem Stückchen Russland kann nicht auf Dauer überzeugen. Auch wenn das einstige Ostpreußen bei einem erneuten Wandel keine treibende Kraft sein wird, so wäre es mit Sicherheit eine seiner Ursachen.

 

Über kaum ein anderes Stück Europa wurde derart viel, kontrovers, verklärend und wehmütig geschrieben oder auch geschwiegen. Rumorte über lange Jahre das Thema bis zur Ermattung im Westen, wurde es mit stoischer Ignoranz der Obrigkeit im Osten zur Stille gezwungen. Erscheint in heutiger Zeit die Materie als eher miefig und peinlich, söhnen sich die eigentlich belasteten Regionen Dank zunehmenden Selbstbewusstseins mit der Vergangenheit aus. Einheimische touristische Literatur beschränkt sich nicht länger auf das Schildern unglaublicher Natur und unverfänglicher Burgen, verkrampft das Heikle umtänzelnd. Nein, mehrsprachig werden Orte und Geschehnisse der jüngeren Vergangenheit mutiger und lückenloser beschrieben, ohne die eigene Präsenz dabei in Frage zu stellen. Nicht selten wird dabei mit der nicht ganz unproblematischen russischen Nachbarschaft und der gemeinsamen Historie kokettiert.

 

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Der Eingang zum ehemaligen Gestüt Trakehnen (russ.: Jasnaja Poljana) mit dem Brandzeichen über dem Tor - der berühmten Elchschaufel, die zum Sinnbild Ostpreussens wurde

Das allgegenwärtige Morbide, dass sich bis in die neunziger Jahre durch die Unfähigkeit des alten  Systems konserviert und noch bis vor zehn ja vielleicht noch vor fünf Jahren auf Grund der noch fehlenden Kraft der neuen Verhältnisse in die heutige Zeit geschlichen hat, scheint nun vollends der überbordenden Moderne zu weichen. Eingestürzte Brücken, verfallener Schlösser und gesprengte Bunker erwachsen mangels Beseitigungsmöglichkeit zur gefeierten Attraktion. Graue, bröckelnde aber authentische Straßenzüge werden zu bunten, wärmeisolierten und reklametragenden Fassaden. Und dennoch, ein Hauch von Melancholie liegt über allem. Das mag dem schattenreichen Licht im Herbst geschuldet sein oder seine Ursache in der Verlorenheit zwischen oft beschriebenen weitem Himmel und endlosen Feldern haben. Auch das Wissen um die Lage am entferntesten Rand der europäischen Union trägt dazu bei. Aber mit Sicherheit schwingt leise die tragische Geschichte selbst dem absolut Unbetroffenen entgegen. Die Zeit derer, die aus erster Hand berichten können oder könnten geht vorüber.  Die Elchschaufel im Anzeigenteil der Sonntagspresse kündet dem Wissenden vom Dahinscheiden eines weiteren Zeugen.

 

Beim literarischen oder sonstigen medialen Einarbeiten in das Thema ist feinsinniges Gespür erforderlich, dass zwischen Verklärung, Verbitterung, leidlicher Objektivität und nüchterner Schilderung unterscheidet. Großes wurde geschrieben von versöhnten großen Geistern aus jener Zeit und Region, der von Döhnhoffs und von Krockows, Authentisches von Vertriebenen wie Reinoss. Historie wurde einfühlsam erklärt durch Haffner und glänzend verarbeitet beispielsweise von Lenz, Surminski oder Kempowski. Die Faszination schien mit dem Fall der Unerreichbarkeit zu verebben. Alles schien gesagt und gezeigt, bis hin zu den großartigen Abgesängen eines Ralph Giordano oder einer Ulla Lachauer. Und dennoch lohnt sich ab und zu ein erneuter Blick auf dieses kleine und interessante Stück Europa.