A - Z
Die ungewöhnliche und tragische Geschichte des kleinen, abgelegenen Ostpreußens ist fesselnd. So nahmen in dieser Region viele europäische Ereignisse und Abläufe Ihren Anfang oder wurden durch sie nachhaltig, ja bis heute beeinflusst.
Ist die Geschichte dieses ehemaligen Gebildes als einzigartig einzustufen, so wird diese noch einmal durch die Historie eines Teils von ihm in den Schatten gestellt - dem Memelgebiet! Das Memelgebiet zwischen den Städten Memel (lit.: Klaipeda) und Schmalleningken (lit.: Smalininkai) als geographischer oder gar politischer Begriff entstand erst um 1920 als es zum Spielball der Siegermächte des Ersten Weltkrieges und im Vertrag von Versailles vom Deutschen Reich und somit von Ostpreußen abgetrennt wurde. Recht diffuse Vorstellungen der Siegermächte über diese Region und knallharte politische Interessen Litauens haben bei dem Konstrukt einer autonomen Region unter französischer Verwaltung eine Rolle gespielt. Dies kam umso deutlicher zu Tage als Litauen 1923 die Region kurzerhand besetzte, um eine mögliche bevorstehende Selbständigkeit des Memellandes zu verhindern. Die Nationalsozialisten besetzten ihrerseits das Memelland 1939 und holten es für wenige trügerische Jahre bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges "zurück in das Reich" nach Ostpreußen.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hörte Ostpreußen auf zu existieren und wurde zwischen Polen und der Sowjetunion aufgeteilt. Das Memelgebiet verblieb als Teil der nun gegründeten Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik in der Sowjetunion. Trotz der engen Einbindung in den sowjetischen Verbund blieb Litauen den Machthabern in Moskau genau wie alle übrigen baltischen Republiken suspekt. Wie ließe sich sonst erklären, dass das Gebiet um Kaliningrad als Exklave der Russischen Sowjetrepublik und nicht einfach als Teil Litauens geführt wurde? Mutig erklärte Litauen 1990 im Klima der Perestroika seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion und bestimmte von nun an seine Geschicke wieder selbst. Das Memelgebiet an sich spielte bei den neuen politischen Entwicklungen, außer in seiner heiklen Aufgabe als Grenzland zur benachbarten russischen Exklave Kaliningrad, keine Rolle mehr.
Bereist man das Land Litauen, stellt man einen soliden, sauberen und einfachen Lebensstandard der Bevölkerung fest. Außer in den touristischen Zentren wie der Kurischen Nehrung oder größeren Städten wie Klaipeda oder Vilnius herrscht kaum Reichtum. Das unmittelbare Gebiet an der Memel scheint jedoch immer noch ein Schattendasein zu führen. Die Gegend rechts von der Straße 141 von Silute (dt.: Heydekrug) kommend ist auch heute noch vergleichsweise schlecht verkehrstechnisch erschlossen. Kleine, zum Teil verfallene Orte, die man in ihrem Zustand eher im Gebiet Kaliningrad erwarten würde, ducken sich verschämt in die einmalige aber melancholisch wirkende Heide. Orte wie Übermemel (lit.: Panemune), Plaschken (lit.: Plaskiai) oder Bittehnen (lit.: Bitenai) scheinen von der Welt vergessen vor sich hinzudämmern. Dabei mag die anachronistische Grenzlage eine gewichtige Rolle spielen. Damit soll nicht gesagt sein, dass hier die Zeit komplett stillzustehen scheint. Der Fortschritt erscheint hier jedoch ungleich langsamer als im restlichen Litauen. Die mächtige Präsenz der ruhig, ja fast träge dahinfließenden Memel unterstreicht die verschlafene Stimmung zusätzlich. Aber genau darin liegt der Reiz dieser Region. Die Kontraste zwischen der Kurischen Nehrung, der verhältnismäßig hektischen Stadt Klaipeda und der Abgeschiedenheit der Landschaft entlang des Memelstroms lassen sich auf nur wenigen Kilometern erfahren.